Wie kommt man dazu, einen Ratgeber bzw. einen Sachbuch-Leitfaden für junge Menschen zu schreiben?
Diese Frage wird mir, seit im November mein Buch START INS LEBEN. Erfolgreich auf eigenen Füßen erschienen ist, immer wieder gestellt.
Eine Antwort von mir darauf ist: Weil das Bildungspolitiksystem in meinen Augen in Deutschland beim Thema Vorbereitung fürs Leben fast komplett versagt.
Beim Haupt- oder Realschulabschluss, und auch nur bedingt beim Abitur pauken unsere Kinder und Jugendlichen zwar alle möglichen hochkomplexen Fächer wie Mathematik, Physik, Informatik oder Deutsch, Fremdsprachen, Geschichte, Erdkunde, Biologie … und vieles andere mehr, doch für die praktischen Dinge des Lebens, zum Beispiel, was sollte ich beachten, wenn ich einen Miet- oder Arbeitsvertrag abschließe oder wie haushalte ich mit meinem Geld, ohne in eine Schuldenfalle zu tappen? – damit werden sie weitestgehend allein gelassen. Für dieses Wissen haben die meisten Lehrkräfte keinen Bildungsauftrag. Dafür ist das Elternhaus zuständig.
Einzige Ausnahme sind Sekundarschulen oder Oberstufenzentren, an denen im Bereich Berufsbildung das Fach Wirtschafts- und Sozialkunde angeboten wird. Dort sind die Schüler eindeutig im Vorteil, vom einen oder anderen Aspekt ihres zukünftigen Alltags schon etwas gehört zu haben. In den meisten Gymnasien werden nur Projektwochen für die Berufsorientierung oder ein Bewerbungstraining angeboten. Das war lange Zeit mein Arbeitsumfeld. Die Nachhaltigkeit dieser Vorbereitung aufs Leben musste ich damals schon öfter infrage stellen.
Immer wieder wurden mir in diesen Trainings von den Jugendlichen Löcher in den Bauch gefragt. Ich stellte dabei meistens fest: die Themen erste Wohnung, erstes Geldverdienen oder erster Arbeitsvertrag, mit all den unterschiedlichen Aspekten, die dabei beachtet werden sollten, kamen im Lehrplan als Bildungsaufgabe nicht vor. Viel mehr waren die Jugendlichen mit dem geforderten Prüfungsstoff und dem Druck von „höher, schneller, weiter … wer ist der Beste, um …“ beschäftigt und den wenigsten war überhaupt schon klar, wo die Reise ihres Lebens nach der Schule hingeht.
Gehen die Bildungspolitikexperten davon aus, dass Kindern und Jugendlichen praktische Lebenskunde hautnah zu Hause beigebracht wird?
Doch was ist, wenn die Eltern damit, neben Vollzeitarbeit und Familienzeit – und seit zwei Jahren auch noch mit dem schwierigen Balanceakt von Homeoffice und Homeschooling zugleich – überfordert sind oder schlicht und einfach selbst über keine gute Grundlage für praktische Lebenskunde verfügen? Was passiert, wenn die Eltern selbst das System gar nicht richtig kennen, weil sie aus ihrer Heimat flüchten mussten und sich selbst erst einmal mit dem komplexen deutschen Ämter- und Antragssystem vertraut machen müssen?
Die Zeiten haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die viel zitierte Schere geht in vielen Bereich immer weiter auseinander. Von wohl- oder gar überbehütet bis alleingelassen – unsere Jugend, die Basis unserer Zukunft, bleibt auf der Strecke. Ich beobachte seit Jahren in meinem Umfeld die gefühlte Orientierungslosigkeit von jungen, intelligenten, kreativen und interessierten Menschen, die unter der Fülle der Herausforderungen an ihren Alltag – mittlerweile oft auch noch ohne Peergroup und Austausch mit Gleichaltrigen – leiden und nach Halt und neuen Wegen suchen. Manche von ihnen ziehen sich zurück, bleiben lieber im Nest zu Hause und warten dort auf bessere Zeiten. Andere ziehen los und suchen sich Nischen oder tauchen in Süchte oder die virtuelle Welt ab. Der Druck steigt … Die Corona-Lage hat die Entwicklung in den letzten zwei Jahren noch verschärft. Die Jugend sucht nach einem Ausgleich.
Ein weiterer Aspekt zeigt sich mir in der Folge der „Helikopter-Überbehütung“ vieler Kinder. „Ich will doch nur das Beste für mein Kind. Es soll es mal besser haben als ich.“ Diese Eltern wollen ihren Kindern alles abnehmen, wollen es ihnen so leicht wie möglich machen. Doch Resilienz und Durchhaltevermögen, ein Gemeinschaftsauge und eine gesunde Anstrengungsbereitschaft werden dadurch eher verhindert. Im schlimmsten Fall wird dadurch ein natürlich wachsender Selbstwert subtil untergraben. Das Kind entwickelt eine unangemessene Erwartungshaltung, weil es irrtümlicherweise denkt, auch ohne angemessene Anstrengung stünde ihm alles zu.
Sind das die Folgen unseres gesättigten Wohlstands in Deutschland? Läuft da etwas aus dem Ruder? Haben wir den Kontakt zum Ursprünglichen verloren?
Wenn ich miterlebe, wie Kinder mit Spielzeug, technischem Equipment, Reisen, Events überflutet werden, frage ich mich manchmal, was es braucht, damit die Kreativität und das sich selbst Spüren in uns und unseren Kindern wieder angeregt wird. Früher sind wir als Kinder einfach nur in die Natur gegangen, haben beobachtet, waren noch mit der Tier- und Pflanzenwelt verbunden. Mittlerweile fangen die Kinder schon im Buggy an, auf Tablets oder Handys mit einem Wish ihre Welt zu manövrieren.
In Deutschland klaffen viele Bereiche immer weiter auseinander. Auf der einen Seite gibt es die Wohlstands-Behüteten und auf der anderen Seite gibt es unzählige Kinder, ob Migrant:in, People of Color oder einfach nur aus ärmeren Verhältnissen. Ich wünsche mir sehr, dass die entstandenen Lücken geschlossen werden, dass sich das Verhältnis der Menschen wieder mehr zu einem sich gegenseitig unterstützendem Miteinander entwickelt.
Wir leben in unruhigen Zeiten. Derzeit ist so vieles in einem rasanten Prozess der Veränderungen. Klimawandel, Pandemie, Globalisierung. Bisher ganz selbstverständlich Gewohntes wird wahrscheinlich nie wieder so sein wie früher. Es braucht viel Geduld und Flexibilität. Doch vor allem braucht es eine Jugend, die sich frei entwickeln und mit Kraft und Lebensfreude diese neue Welt mit erschaffen will. Doch wenn ich keine Orientierung und keine Basis für mein Alltagsleben habe, nicht weiß, wie es läuft, tritt möglicherweise tiefe Verunsicherung und Resignation an die Stelle, wo jugendliche Erfinderkraft und innovatives Denken neue Brücken zwischen Alt und Neu bauen könnten.
Eines meiner Ziehkinder stand mit Anfang 20 einmal vor mir und sagte ganz ernüchtert: „Auf all das haben mich meine Eltern nicht vorbereitet. Ich weiß überhaupt nicht, wie das mit dem selbständig Leben geht.“ Das war der Moment, in dem die Idee zu diesem Buch geboren wurde. Ich wollte ein leicht verständliches und doch komplex informatives Nachschlagewerk für die wichtigsten Grundtools für den eigenständigen Start ins eigene Leben herausbringen. Die drei Themen Wohnen, Geld und Arbeit – alle übersichtlich und kompakt in einem Buch zusammengefasst. Zur Orientierung und als Sicherheitsanker für die Schule des Lebens. Ein Buch mit fundiertem Basiswissen und vielen hilfreichen Tipps aus gewachsener Lebenserfahrung.
Für die Jugendlichen mag es im ersten Moment ein uncooles Buch sein. Doch spätestens, wenn das erste Mal kein Geld mehr im Portemonnaie ist, eine Absage nach der anderen kommt und der Vermieter an der Tür klingelt und seine Miete will, steckt in diesem Buch der Wissens-Notfall-Anker, um nicht gleich wieder bei den Eltern vor der Tür stehen zu müssen. Denn das wäre noch uncooler.
Und auch Eltern tut dieses Buch gut. Die meisten, denen ich es bisher zum Lesen gegeben habe, haben ausgerufen: „Genau so ein Buch hätte ich mir damals beim Auszug nach der Schule gewünscht.“ Genau, deshalb ist es ein tolles Geschenk zum Schulabschluss, Berufsbeginn oder 18. Geburtstag. Das Loslassen der eigenen Kinder fällt nicht leicht. Doch genau deshalb tut das Buch auch den Eltern gut. Sie können beruhigter loslassen, weil sie diesen Leitfaden als Starthilfe im Gepäck ihrer gerade flügge gewordenen Kinder wissen. Manche haben es sich auch gleich noch ein zweites Mal für sich selbst gekauft.
Ich habe viele Jahre die Stammeskultur indigener Völker studiert. Dort wird oft gesagt: um ein Kind groß zu ziehen, braucht es ein ganzes Dorf. Ich möchte mit diesem Buch meinen Teil dazu beitragen, dass die Kinder der nächsten 7 Generationen auf dieser Erde ein gutes sicheres Zuhause finden.
Eine meiner Visionen ist, dass in jeder Schule mindestens ein Klassensatz dieses Leitfadens zur Verfügung steht – als Grundlage für die Vermittlung von praktischer Lebenskunde oder anderenfalls bei jeder Schulabschlusszeugnisfeier an jeden Absolventen feierlich als Geschenk überreicht wird.
Aktuelle Rezension des Buches im TipBerlin Magazin
Das Buch ist in meinem kleinen Selbstverlag manitu-books Verlag erschienen. Das Buch ist direkt über mich sowie über den Buchhandel oder auf Amazon erhältlich. Wer es lieber elektronisch mag: Die drei Themen Erste Wohnung, Finanzen und Arbeit inkl. Bewerbung gibt es auch als separates E-Books.
Sicht-weise(n) – Ab jetzt werden hier immer wieder meine persönlichen Sicht-weise(n) zu Impulsen oder Themen der Zeit erscheinen. Als Inspiration und Denkanstoß, denn ich finde, die Zeit reif ist, um neue Wege zu finden und zu gehen.
Liebe Umani, wow was für ein super wichtiges Buch! Das hätte ich mir damals auch mal gewünscht. Alle wichtigen Infos gut recherchiert in einem Buch! Ich wünsche dir ganz viel Sichtbarkeit damit, damit es bei den jungen Leuten auch ankommt. Viele Grüße Kerstin