Die Möwen ziehen schon vor dem Sonnenaufgang ihre Kreise. Ihr leises Kreischen weckt Nelli. Sie steht kurz auf, öffnet das Fenster. Bleibt dort stehen und nimmt einen tiefen Atemzug, während ihre Hände über den seidigen Stoff ihres Nachthemds an ihren Hüften streichen. Das Rauschen des Windes an der Brandung erinnert sie an das Rotorengeräusch von Helikoptern. Sie dreht sich zum Tisch und überlegt kurz, ob sie erst Duschen gehen sollte oder schon die ersten Worte des Tages schreiben.
Sie entscheidet sich fürs Schreiben. Das Duschen kann noch warten. Doch vorher braucht sie noch einen Kaffee. Sie geht in die Küche, setzt Wasser auf und schleicht leise wieder in ihr Zimmer. Sie hat sich richtig entschieden, denn aus dem Bad neben der Küche hört sie das Wasser plätschern. Da war schon jemand früher wach gewesen als sie.
Sie schreibt wie jeden Tag das Datum des Tages in die obere Ecke des noch leeren Blattes. Heute ist der 3. Oktober. Ein Feiertag. Der Tag der Einheit. Sie hält kurz inne. Macht dieses Datum etwas mit ihr? Sie schüttelt den Kopf. Für sie ist das kein besonderer Tag. Da gibt es wichtigere in ihrem Leben. Der 18. Mai zum Beispiel, der Tag an N. das erste Mal aus ihrem Leben verschwunden war. Das ist ein so tief in ihr Leben gemeißeltes Datum, ein wunder Punkt, der mit nichts mehr aus ihrer Seele wegzuradieren ist.
Sie schaut von ihrem Schreibtisch wieder aus dem Fenster. Heute brachen sich die Wellen an den Mauersteine im Hafen. Die Gischt platscht im hohen Bogen über die Mole hinweg. Gestern war sie noch mit ihrer Freundin den langen Weg in der Sonne bis zum Leuchtturm hin- und zurückgewandert. Sie hatten geplauscht und gelacht. Der Hund lief freudig mit dem Schwanz wedelnd neben ihnen her. Heute würden sie sich einen anderen Weg zum Auslauf suchen müssen.
Sie hörte die Tür zum Nebenzimmer sich schließen. Jetzt ist das Bad wieder frei. Sie wollte wenigstens kurz auf Toilette gehen und sich die Zähne putzen. Wieder schlich sie barfuß über den Flur. Das Badezimmer ist fast genau so groß wie ihr Zimmer. Statt einem Doppelbett steht hier eine Frisierkommode. In der Mitte könnte sie mit jemanden Walzer tanzen, so viel Platz ist dort. Noch einen kurzen Blick in den Spiegel und jetzt aber wieder zurück an den Schreibtisch, ermahnt sie sich. Sie wollte doch ihre ersten Worte des Tages schreiben.
Sie sitzt vor den leeren Blatt mit dem Datum. Wo sollte sie anfangen? Die gestrige Textkritik und das anschließende Coaching haben ihr zwar geholfen, mehr Klarheit in die Struktur ihrer Geschichte zu bringen, doch gab es auch noch so viele offene Fragen in ihr, die wie Seifenblasen aufstiegen und wieder zerplatzten. Sie steht wieder auf. Vielleicht sollte sie doch erst nach dem Morgenimpuls-Schreiben in der Gruppe mit ihrem Text anfangen.
Sie zieht sich um und läuft, treppab und wieder hinauf auf die andere Seite des Hauses. Die ersten sitzen schon im Raum. Das Zitat des Tages wird gerade an die Tafel geschrieben:
„Die Vernunft verdirbt vieles was fruchtbar, saftig und faszinierend ist.“ Anne Lamott
Sie erinnert sich sofort: Von dieser Schriftstellerin hatte sie schon mal ein Buch gelesen. Bird by Bird – Wort für Wort. Anleitung zum Schreiben.
Es war das Geschenk einer Freundin gewesen.
Diese kleine Kurzgeschichte hat dich inspiriert oder berührt?
Manchmal klingen sie auch noch in dir nach oder regen dich selbst zum kreativen Schreiben oder Gestalten an?
Du möchtest mir deine Form der Wertschätzung in Form einer Tasse Tee oder Kaffee zukommen lassen?
Gerne kannst du mir diese symbolische Tasse Kaffee oder Tee über Paypal zukommen lassen.
Ruth saß am Steuer ihres Autos und schaute noch einmal kurz auf die Rückbank. Hatte sie wirklich an alles gedacht und eingepackt? Sie ging noch einmal ihre innere Checkliste durch: Anzug von C., Anzug für N., Kleid für den Tag, Kleid für den Abend, die dazugehörigen Schuhpaare, das Geschenk fürs Brautpaar, die Serviettenringe aus dem alten Silberbesteck, das Honorar für den gebuchten Schlagersänger … ihr brummte der Kopf. Schon seit Wochen liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Zwei Mal war sie diesen Weg im Sommer schon nach Tirol gefahren. Zum Probeessen 1 und 2. Sie hoffte, dass an diesem Wochenende alles perfekt lief. Es war immerhin die erste Hochzeit eines ihrer Kinder. Sie stieß ein letztes Stoßgebet in den Himmel, legte den 1. Gang ein und drehte den Zündschlüssel im Schloss. Los geht’s! murmelte sie vor sich hin.
Ihr Mann war schon eine halbe Stunde vorher losgegangen, um den bestellten Blumenstrauß in ihrem Lieblingsblumenhaus abzuholen. Als sie in die Straße einbog, stand er schon lächelnd am Bordstein zum Einstieg bereit. Er stieg zu ihr ins Auto, legte das große Paket vorsichtig auf den Rücksicht. Mit einem vorsichtigen Blick sah er zu ihr und fragte: „Hast du alles dabei?“
Ruth pfiff gekonnt Luft durch den linken Mundwinkel, so dass ihre Haarlocke aus dem Gesicht nach hinten fiel und antwortete lässig „na klar habe ich alles dabei, du kennst mich doch“ und gab wieder Gas.
Die Fahrt über waren beide still. Sie waren ein eingespieltes Team. Er hielt ihr ab und zu etwas zum Trinken hin oder bot ihr klein geschnittene Früchte an. Sie saß glücklich und dankbar am Steuer. Die Aufregung schwing zwischen ihnen hin und her, bis sie am Nachmittag in dem kleinen Ort in Tirol ankamen. Sie waren nicht die ersten. Überall wurde schon fleißig geräumt, gestellt, vorbereitet. Der kunstvoll gezeichnete Sitzplan stand auf einer Staffelei am Eingang. Ruth warf nochmals einen Blick auf ihn, hoffte, dass sie die unterschiedlichen Befindlichkeiten aller Gäste bei der Platzauswahl ausreichend berücksichtigt hatte. Sie wollte, dass sich alle wohl fühlen – so war sie eben, die quirlige Ruth mit ihrem umsichtigen Talent, Dinge im hellsten Licht sichtbar werden zu lassen. Sie liebte es, als strahlender Engel auf zwei Beinen im Leben von anderen zu zaubern. Das konnte sie wirklich gut. Das war ihre Mission, dafür arbeitete sie unermüdlich und hat schon so vielen Menschen mit ihrer mitfühlenden Art Impulse fürs glücklich sein gegeben. Sie war ein wahres Energiebündel für gute Laune, welches sie in ihrem geschaffenen Ministerium für Happiness ausleben konnte.
Doch heute sollte ihr besonderes Kind im Vordergrund stehen. Das Kind von ihr, dass sich so erfolgreich schon durch viele Hindernisse bewegt hatte, gradlinig zu sich stand, egal was andere davon hielten. Ruth hatte sich lange überlegt, wie sie N. an diesem Tag auch dafür ehren könne. Sie war so stolz auf N. Das sollte auch im Hochzeitsgeschenk sichtbar werden. Sie hatte eine Straße mit einem schönen Auto kreiert, am Wegesrand mit wichtigen Wegweisern und Schildern. Nur die frischen Blumen dazwischen fehlen noch. Ruth ging zum Auto und nahm das große Paket des Blumenhauses heraus. Sie lugte durch die Enden des Einwickelpapiers, sah den Brautstrauß und suchte nach den einzelnen Blumen für das Geschenk. Ihr Mann stand derweil mit Freunden am Hauseingang zusammen. Sie rief ihm von weitem: „Wo sind denn die bestellten Butterblumen?“ zu. Ihr Mann zuckte mit den Schultern und rief ihr: „Hast du schon gehört, der Schlagersänger hat leider abgesagt.“ zurück. In Ruth begann es zu rattern. Wo bekäme sie denn jetzt noch auf die Schnelle Butterblumen her? Der Schlagersänger war ihr in diesem Moment total egal. Sie konnte seine Musik sowieso nicht leiden. Sie setzte sich zurück ins Auto, startet und gab wieder Gas.
Diese kleine Kurzgeschichte hat dich inspiriert oder berührt?
Manchmal klingen sie auch noch in dir nach oder regen dich selbst zum kreativen Schreiben oder Gestalten an?
Du möchtest mir deine Form der Wertschätzung in Form einer Tasse Tee oder Kaffee zukommen lassen?
Gerne kannst du mir diese symbolische Tasse Kaffee oder Tee über Paypal zukommen lassen.
Karo saß an der Maschine. Tack tack tack tack tack tack … wie im Gleichschritt ratterte die Nadel hoch und runter, verband den Ober- und Unterfaden zu einem Stich. Einen nach dem anderen entstand das Zickzackgebilde am Rand des Stoffes. Ihr Fuß auf dem Pedal bestimmte die Schnelligkeit, war darauf getrimmt, in Sekundenschnelle die Geschwindigkeit zu ändern. Vor, zurück, langsam Stich für Stich oder auch mal ganz schnell, wenn es galt den Rand eines Saumes zu fixieren.
Heute war Freitag, ihr Nähtag. Sie liebte es, sich an diesem Tag in ihre Kreativ-Höhle zurückzuziehen. Zur Einstimmung strich sie zu Beginn meist erst einmal mit den Fingern über die Stoffe, die farblich sortiert in ihrem Vorratsregal lagen und darauf warteten, in schöne kleine Formen und Kissen verwandelt zu werden. Die Karostoffe lagen ganz oben, in der Mitte stapelten sich die Motivstoffe mit Rosen, Herzen oder in unterschiedlichen Leoprintmotiven. Ganz unten lagen die einfarbigen Stoffe ordentlich aufgeschichtet.
Das Nähen als Hobby kam erst vor ein paar Jahren ganz überraschend in ihr Leben. Ihr Mann hatte einige seiner Hemden aussortiert und die Säcke für die Kleidersammlung standen schon zur Abholung bereit. Obwohl sie in der Schule beim Nähprojekt in der 5. Klasse am Ende auf ihre Küchenschürze nur eine 4 bekommen hatte, wollte sie das mit dem Nähen noch einmal probieren. Sie nahm ein paar alte Hemden aus dem Sack wieder heraus und beschloss kurzerhand daraus kleine Säckchen mit dem im Herbst selbst geernteten Lavendel für den nächsten Weihnachtsbasar zu nähen. Die Aktion wurde ein voller Erfolg. Um die Säckchen noch attraktiver zu gestalten, veränderte sie die Form und begann später Tiere auf kleine Kissen zu nähen. Inspiriert wurde sie dazu durch das Lesen des Krafttierbuches von Jeanne Ruland. Die Krafttiere waren ein Thema, was sie schon lange interessierte. Sie selbst hatte zwei, die sie immer begleiteten und ihr Mut und Schutz gaben.
Über die Woche waren wieder einige Bestellungen bei ihr eingetroffen. Der eine wollte ein Krafttierkissen für sein Kind zum Geburtstag, ein anderer ein Entspannnungskissen für seine Frau. Beim Herstellen von besonderen Kissenwünschen versuchte sie sich immer den oder die Empfängerin vor ihrem inneren Auge vorzustellen. Ihr intuitiver Spürsinn war in den letzten Jahren so gewachsen, dass es sie nicht mehr überraschte, wenn sie nach dem Versenden der Kissen, ganz herzliches Feedback von ihren Kunden erhielt: „Wie schön, sie haben genau meinen Geschmack getroffen.“ Oder „Genau so habe ich mir das Geschenk vorstellt.“ Oder „Meine Frau strahlte so vor Freude.“
So wurde ihr anfangs gedachtes Hobby immer mehr zu einer immer größer werdenden Nebeneinkunftsquelle, mit der sie nie gerechnet hatte. Doch zum Hauptgeschäft wollte sie es nicht werden lassen. Serienproduktion wäre nichts für sie, denn sie liebte es, jedes kleine Kissen als kleines persönliches Kunstwerk zu gestalten.
Für jedes Krafttierkissen las sie zur Einstimmung im Internet oder im Buch jeweils die Bedeutung des Tieres nach. Heute suchte sie nach der Botschaft für den Frosch: Du meisterst schwierige Situationen, die dir fruchtbare Erkenntnisse bringen … Der Frosch fordert dich auf, nach innen zu schauen. Erkenne die Welt als Spiegel deiner Seele … Richte dich neu aus, spiele mit deinen Gestaltungsmöglichkeiten … Heilung geschieht …
Karo wusste aus eigener Erfahrung, dass jedes Tier einen kraftvolle Medizin für den jeweiligen Träger bereithielt. Sie war so glücklich, dass sie diese Magie in jedes ihrer Kissen mit einnähen konnte und so etwas ganz individuell Besonderes zu erschaffen.
Und jeden Samstag erfüllte es sie mit viel Freude, wenn sie ihre liebevoll verpackten Päckchen auf den Weg zu ihrem Bestimmungsort zur Post brachte. Immer wieder sagte sie dann zu ihrem Mann: Danke, dass du damals so viele karierte Hemden aussortiert hast.
Ein herzliches DANKE an Nicole aus der The-Content-Society für die inspirierende „Wörterspende“.
Diese kleine Kurzgeschichte hat dich inspiriert oder berührt?
Manchmal klingen sie auch noch in dir nach oder regen dich selbst zum kreativen Schreiben oder Gestalten an?
Du möchtest mir deine Form der Wertschätzung in Form einer Tasse Tee oder Kaffee zukommen lassen?
Gerne kannst du mir diese symbolische Tasse Kaffee oder Tee über Paypal zukommen lassen.
Die Türglocke im Salon schellte. Klara schaute kurz hoch und nickte der Frau mit dem Turban auf dem Kopf grüßend zu.
„Einen Moment bitte. Sie können sich gerne schon dort hinten hinsetzen. Ich brauche hier noch kurz.“
Sie bestrich noch schnell die letzten Strähnen mit Farbe, bevor sie sie in Stanniolpapier wickelte.
„So Frau Jeschke, wir sind jetzt erst einmal fertig. Wenn sie wollen können sie sich draußen in die Sonne setzen. Die Farbe muss jetzt mal einwirken. Marie bringt ihnen gerne auch noch einen Kaffee.“
Frau Jeschke brummte etwas und erhob sich schwerfällig aus dem Stuhl. Aus ihren Latschen klafften ihre zu großen roten Stoppersocken. Seit sie Diabetes hatte, konnte sie sich nicht mehr zum Schuhe zumachen bücken. Da wurde die Schuhwahl kleiner. Zu Hause lief sie nur noch in den Socken mit Stopperpunkten, bis über die Straße mussten die Latschen reichen. Klara gab ihrer Tochter Marie hinterm Vorhang ein Zeichen, dass sie einen Kaffee bringen sollte und wandte sich der neuen Kundin zu.
„Was kann ich für sie tun?“
Die Frau schaute sie mit rot geränderten Augen an und begann vorsichtig den Turban abzuwickeln. Ein kurzer Blick reichte aus, dass Klara das Drama erkannte. Eine riesige Haarwurzelentzündung am Hinterkopf. Das sah schmerzhaft aus.
„Haben sie sich die Haare dort selbst entfernt?“
Die Frau nickte schüchtern. Es tat so weh, da habe ich einfach die Schere genommen und alles drum herum abgeschnitten und den Pickel aufgedrückt.
Klara kannte das Dilemma. Es war ein Dauerbrenner in ihrem Salon. Doch dieses Mal sah die Stelle besonders schlimm aus.
„Seit wann ist das so entzündet? Damit müssen sie zum Arzt gehen, da kann ich ihnen nicht helfen.“
„Meine Freundin hat aber gesagt, dass sie ihr auch schon einmal mit Kräutern und Salben geholfen haben. Können sie es nicht wenigstens probieren? Ich will nicht zum Arzt. Das ist mir viel zu peinlich.“
Klara kannte ihren Ruf. Bevor sie diesen Laden eröffnet hatte, unterhielt sie eine Heilpraxis für Alternativmedizin. Bis heute schickten ihr ihre alten Kunden neue Patienten. Die Mundpropaganda funktionierte immer noch gut.
„Nein, es tut mir leid, aber hier hört meine Zauberei auf. Die Wunde hat sich entzündet. Das muss sich ernsthaft ein Arzt ansehen. Damit stoße ich an meine Grenzen. Das mach ich nicht.“
Die Frau band sich enttäuscht wieder ihren Turban um den Kopf. Klara wollte ihr dabei helfen, doch die wütenden Augen der Frau hielten sie davon ab, noch etwas zu sagen. Sie begleitete sie noch bis zur Tür und verabschiedete sich.
„So Frau Jeschke, jetzt können wir gerne weiter machen. Wo waren wir vorhin im Gespräch stehengeblieben? Ihr Sohn kommt sie bald mal wieder besuchen … „
Klara wischte die Gedanken an die Frau mit dem Turban wieder weg, setzte ihr Lächeln auf und half Frau Jeschke von der Bank aufzustehen. Sie wusste, warum sie damals ihre Heilpraxis aufgegeben hatte.
Diese kleine Kurzgeschichte hat dich inspiriert oder berührt?
Manchmal klingen sie auch noch in dir nach oder regen dich selbst zum kreativen Schreiben oder Gestalten an?
Du möchtest mir deine Form der Wertschätzung in Form einer Tasse Tee oder Kaffee zukommen lassen?
Gerne kannst du mir diese symbolische Tasse Kaffee oder Tee über Paypal zukommen lassen.
„Kannst du mir bitte mal den Hammer herüberreichen?“
Tom ging ein paar Schritte den Ast entlang und streckte sich zu Maren, um ihr den Hammer zu reichen. Hat es da schon wieder geknackt? Tom horchte. Ihm war der Baum nicht geheuer. Ständig knackte und knarrte es in ihm. Doch Maren wollte unbedingt hier in dieser alten Kirsche ihr lang erträumtes Baumhaus bauen.
„Maren pass bitte auf. Hier auf diesem Ast hat es gerade schon wieder geknackt.“
„Ach Tom, ich weiß. Ich bau mir jetzt hier trotzdem mein Haus. Du musst ja nicht drin schlafen. Wenn es dir zu gefährlich ist, geh doch ins Haus und mach dort weiter. Ich komm hier schon klar.“
Als Kind hatte Maren meistens den größten Teil der Ferien auf dem Dorf ihrer Großeltern verbracht. Dort stand eine alte Zink-Badewanne im Garten. Wenn das Wetter mitspielte, legte ihre Großmutter ihr abends ein paar alte Decken in die Wanne und Maren lag dort drin, bis sie einschlief. Am anderen Morgen erwachte sie dann unter der großen Bettdecke im großen Ehebett neben ihrer Oma. Seit ihr Großvater gestorben war, durfte sie immer neben ihr schlafen. Seit damals träumte sie davon, im Sommer in einem Baumhaus zu schlafen. Sie liebte diese Freiheit so mitten im Rauschen von Blättern im Wind, der Himmel und die Sterne über ihr. Sie hatte keine Angst. Der Baum und sie waren eins.
Tom kletterte von der Leiter, die bis zu den ersten Ästen reichte. Für ihn war das Leben auf Bäumen nichts. Er liebte eher sicheren Boden unter den Füßen. Er ging über die Wiese bis zum Haus. Maren würde sich schon melden, wenn sie seine Hilfe bräuchte. Im letzten Sommer hatten sie beide beschlossen, sich ein kleines Häuschen auf dem Land zu suchen. Sie wollten wenigstens am Wochenende oder im Sommer mehr Zeit außerhalb der quirligen heißen Stadt verbringen. Sein Kollege schickte ihm damals die Anzeige: „Villa kunterbunt in liebevolle Hände abzugeben“.
Maren war sofort begeistert, wollte es sofort kaufen. Das Haus sah zwar ziemlich heruntergekommen aus, doch sie waren beide handwerklich begabt. So hatten sie in den letzten Monaten die Außenfassade repariert, das Dach ausgebessert und die Fensterläden neu gestrichen. Auch innen gab es einiges zu tun. Doch es hat sich gelohnt. Sie hatten abgemacht, dass jeder einen Raum ganz für sich gestalten durfte. In Marens Zimmer strahlte gold und rot von den Wänden. Nicht nur auf dem Fensterbrett, nein überall standen und hingen schöne zum Teil ungewöhnliche Dinge, denn Maren hatte die Angewohnheit, sich von jeder Reise etwas als Erinnerung mitzubringen. Sie sagte immer, dass würde ihre Sehnsucht nach der Ferne ein wenig bändigen.
Toms Zimmer war dagegen sehr schlicht. Bis auf sein Bett und einen Tisch für seinen Laptop standen nur noch zwei alte afrikanische Stühle im Raum. Die Wände hatte er in zartem grau gestrichen. Nur bei Küche, Bad und Wohnzimmer galt das Prinzip der Abstimmung. Viele Nächte haben sie über Katalogen gehockt, um Fliesen auszuwählen oder Schränke und anderes Mobiliar zu bestellen. Nun waren sie fast überall fertig. In ein paar Wochen wollten sie ihre Freunde übers Wochenende zu einer Einweihungsparty laden. Bis dahin sollte auch das Baumhaus im Garten fertig sein.
Maren und ihr Baumhaus, dachte Tom. Wie oft hatte sie ihm mit allen Details davon vorgeschwärmt. Jetzt endlich nahm es Form an. Er hoffte nur, dass der Baum sie wirklich trägt.
Ein herzliches DANKE an Ruth Langer für die inspirierende „Wörterspende“.
Diese kleine Kurzgeschichte hat dich inspiriert oder berührt?
Manchmal klingen sie auch noch in dir nach oder regen dich selbst zum kreativen Schreiben oder Gestalten an?
Du möchtest mir deine Form der Wertschätzung in Form einer Tasse Tee oder Kaffee zukommen lassen?
Gerne kannst du mir diese symbolische Tasse Kaffee oder Tee über Paypal zukommen lassen.
An der Tür zum Gasthof hing ein Schild: Heute Geschlossene Gesellschaft. Frieder schaute von der Tür noch einmal in den Saal. Auf allen Tischen glänzten die Gläser, die Bestecke lagen exakt in Reih und Glied, die Tischkärtchen standen gut sichtbar verteilt. Jetzt konnte die Feier losgehen. Im Dorf läuteten schon die Glocken, dass hieß, er musste sich beeilen, um nicht die Hochzeit seiner kleinen Schwester zu verpassen. 5 Minuten später verließ er den Hof, warf Zottel, ihrem Hofhund, noch ein Leckerli hin und eilte zur Kirche. Alle hatten schon auf ihn gewartet, denn ohne ihn wollte Mika die Kirche nicht betreten. Für Mika war ihr Bruder Frieder alles. Nach dem Tod ihrer Eltern kümmerte er sich um sie. Er war ihr Anker. Als er sie sah, traute er seinen Augen nicht.
Sie hatte ihm immer wieder verboten, sie vor der Hochzeit in ihrem Kleid zu sehen.
„Das ist eine Überraschung“, sagte sie nur.
„Und verdirb sie mir ja nicht“, warnte sie ihn immer wieder nachdrücklich.
Das fiel Frieder schwer, machte er sich doch ständig Sorgen um sie. Er wollte sie doch nur beschützen. Doch jetzt war sie groß, wollte ihre eigenen Entscheidungen treffen. Seit sie sich in Holger verliebt hatte, zog sie sich immer weiter von ihm zurück, wich ihm öfter aus, ging ihre eigenen Wege.
Frieder kannte Holger schon lange. Als Kinder waren sie einmal dicke Freunde, gingen in eine Klasse und oft gemeinsam in die Berge klettern. Doch dann ging Frieder weiter zur Schule und Holger lernte Galabau. Heute ist Holger der beste Baumpfleger in der Gegend. Er klettert mit seiner Kettensäge in die Bäume und macht sie wieder wetterfest für die nächsten Stürme oder zerkleinert sie Ast für Ast, bis nur noch der Stamm zum Fällen übrigblieb. Frieder wusste, wie sehr Holger seine Arbeit liebte. Doch seine Arbeit war nicht ungefährlich. Daher sprühte er nicht vor Freude, als ihm seine kleine Schwester ihre Liebe zu Holger gestand.
Sie war doch so zerbrechlich, dachte er immer wieder. Einen zweiten Verlust würde Mika wieder schwer treffen. Er hatte immer noch die Bilder von der Zeit nach dem Tod ihrer Eltern im Kopf, erinnerte sich, wie er mit Engelsgeduld Mika wieder dazu brachte, etwas zu essen und wieder zu sprechen. Doch Mika liebte Holger. Damit musste sich Frieder nun einmal abfinden.
Doch nun stand sie strahlend vor ihm. Sie hatte das Hochzeitskleid ihrer Mutter an. Doch zusätzlich hatte sie Gänseblümchen wie kleine Schnecken und Kränze auf das Kleid genäht. In den Haaren, an den Armen überall hingen Gänseblümchen. Nur er wusste, dass es die Lieblingsblumen ihrer Mutter waren. Als Kinder brachten die beiden nach dem draußen herumtollen und dreckig und verschmiert nach Hause kommen, ihrer Mutter zur Entschuldigung oft ein kleines Sträußchen dieser Blumen mit. Diese lachte dann und rief nur: „sofort ab in die Badewanne, ihr beiden Waldelfen!“
Die Frau vom Pfarrer kam um die Ecke und mahnte: „Die anderen warten schon. Ihr solltet jetzt kommen. Der Pfarrer will beginnen.“
Mika hielt ihrem Bruder den Arm hin und er harkte ein, denn ihr Wunsch war, dass er sie zum Altar führe. Sie hielt noch einmal kurz inne und flüsterte zu ihm: „Es bleibt doch dabei, auf dem Weg zum Gasthof halten wir noch kurz am Friedhof ? Ich will Mama auf jeden Fall noch ihr Kleid zeigen.“
„Na klar, du weißt doch, dir kann ich keinen Wunsch abschlagen. Versprochen ist versprochen! Nun sollten wir uns aber wirklich beeilen, sonst überlegt es sich Holger noch einmal mit dir“. Sie lachten beide laut auf und betraten durch das Tor die Kirche. Frieder kamen die Tränen. Denn überall hingen auch dort Gänseblümchen. Es war ihm auf einmal als wären seine Eltern mit dabei. Diese Überraschung war seiner kleinen Schwester wirklich gelungen.
Ein herzliches DANKE an Susanne für die inspirierende „Wörterspende“.
Diese kleine Kurzgeschichte hat dich inspiriert oder berührt?
Manchmal klingen sie auch noch in dir nach oder regen dich selbst zum kreativen Schreiben oder Gestalten an?
Du möchtest mir deine Form der Wertschätzung in Form einer Tasse Tee oder Kaffee zukommen lassen?
Gerne kannst du mir diese symbolische Tasse Kaffee oder Tee über Paypal zukommen lassen.
Merlin lehnte sich an den alten Baum in seinem Garten. Er war müde. Nicht nur, weil er in dieser Nacht kaum zum Schlafen gekommen war. Nein, auch weil er nun schon seit Stunden auf der Suche nach Freya war. Seine schwarze Katze hatte in der letzten Nacht im Hause so rumort, dass er sie kurzerhand irgendwann vor die Tür gesetzt hatte. Jetzt war sie weg. Nach so einem Rauswurf sah sie ihn meistens ein wenig fauchend an, dreht sich beleidigt um und ging ein wenig stromern. Doch am Morgen saß sie meist wieder an seinem Fenster und mauzte so lange, bis er ihr etwas Milch hinstellte. Doch jetzt war es schon fast Abend und sie war immer noch verschwunden. Merlin machte sich Sorgen. Das kannte er nicht von ihr. Bald würde es dunkel werden und der Wetterbericht im Radio hatte für die Nacht Gewitter vorhergesagt. Er wusste, Freya mochte kein Gewitter im Draußen. Sobald es anfing zu donnern, kroch sie unter seine Daunendecke und ward nicht mehr gesehen, bis sich die Blitze und der Donner wieder verzogen hatten. Er wollte sie unbedingt vorher finden.
Er ging ins Haus und zog sich die alten Gummistiefel über. Irgendwo musste sie ja sein. Er würde noch einmal eine große Runde drehen, vielleicht war sie irgendwo in eine Spalte gefallen oder war in eine der neu aufgestellten Fallen getreten. Seit der Gemeindeförster für den umliegenden Wald Ranger eingestellt hatte, war nichts mehr so wie früher. Das neue Waldwirtschaftskonzept wurde umgesetzt, egal ob es den Anwohnern gefiel. Im Waldkauz, der alten Dorfkneipe, wurde oft darüber diskutiert. Das neue Motto hieß: der Wald wird aufgeräumt. Merlin schüttelte dann nur den Kopf und murmelte: Natur bleibt Natur. Die räumt sich von selbst auf. Da sollten sich bürokratische Menschenhände raushalten. Er war schon als kleines Kind dort umhergetollt, hatten mit den Wichteln verstecke gespielt, Baumhöhlen gebaut, mit seinem Vater im Wald übernachtet. Er kannte seinen Wald in- und auswendig. Doch das war lange her. Sein Vater war nun schon lange tot, doch die Erinnerungen an die Erlebnisse mit ihn blieben in ihm lebendig. Für diese Erfahrung war er seinem Vater sehr dankbar. Wenn er heute die jungen Menschen mit ihren Handys auf der Straße beobachtete, war er oft irritiert. Er dachte sich dann: was die alles verpassen. Sie haben ihre Stöpsel mit lauter Musik im Ohr, hören nicht die Vögel, wie sie musizieren. Sie kennen nicht die Pflanzen ihrer Umgebung. Wissen nicht, ob sie essbar sind oder giftig. Sehen nicht das Wunder der Verwandlung, welches die Natur im Kreis der Jahreszeiten vollzieht.
Vor zwei Jahren hatte er der Gemeinde für die umliegenden Schulen ein Konzept für eine Projektwoche zum Thema „Im Wald lernen“ angeboten. Er wollte etwas tun, die Kinder wieder mehr vom Sein in der Natur begeistern. Doch der Direktor war davon nicht überzeugt. „Kann man doch alles bei Wikipedia nachlesen“, war seine Antwort. Kein Wunder, ist er doch ganz dicke mit dem Gemeindeförster befreundet.
Er verließ den Dorfweg Richtung Mühle. Sie lag schon lange still. Das Dach war schon löchrig, die Tür mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert. Der Ort war ein beliebter Treffpunkt der Jugendlichen aus den umliegenden Dörfern. Sie hockten dort unter dem Vordach des alten Hauses zusammen, aus ihren Bluetooth-Boxen dröhnten ihre Lieder. Hier störten sie keinen. Sie hatten dort ihr Bleiberecht.
Von weitem sah er einen schwarzen Fleck auf dem Brunnenrand. Er ging ein paar Schritte schneller.
„Da bist du ja, du kleine Ausreißerin“, rief er schon von weitem. Freya mauzte und sprang auf die Erde in seine Richtung. Ihr Fell war nass und sie sah ein wenig zerzaust aus. Wenn sie Menschensprache sprechen könnte, würde sie ihm bestimmt das tolle Abenteuer, das sie erlebt hatte, erzählen. Er hockte sich zu ihr nieder und sie sprang auf seinen Arm. Sofort kroch sie in seine offene Wolljacke und machte es sich in seiner warmen Armbeuge bequem. Merlin war glücklich. Ein Leben ohne seine Freya mochte er sich gar nicht vorstellen.
Ein herzliches DANKE an Veronika aus der The-Content-Society für die inspirierende „Wörterspende“.
Diese kleine Kurzgeschichte hat dich inspiriert oder berührt?
Manchmal klingen sie auch noch in dir nach oder regen dich selbst zum kreativen Schreiben oder Gestalten an?
Du möchtest mir deine Form der Wertschätzung in Form einer Tasse Tee oder Kaffee zukommen lassen?
Gerne kannst du mir diese symbolische Tasse Kaffee oder Tee über Paypal zukommen lassen.
Svenja schloss die Tür zu ihrem Laden auf. Nach der langen verkaufsfreien Zeit aufgrund des verordneten Lockdowns tat es ihr gut, wieder in den Rhythmus des Lebens zurückzukehren. Im Verkaufsraum stand immer noch die stickige Luft der monatelangen Schließung. Die neue Ware lag noch in Kisten verpackt im hinteren Raum. Sie musste dafür erst einmal Platz schaffen. Das Alte raus, das Neue rein. Doch es fiel ihr nicht leicht. In den letzten Monaten war viel in ihrem Umfeld passiert, auch das wollte erst einmal verdaut werden. Diese C-Zeit, wie Svenja sie immer nannte, hatte es in sich. Doch das ausgesprochene C-Wort war in ihrem Laden tabu. Wenigstens hier wollte sie einen schönen Raum schaffen, in dem die Sorgen und Nöte für eine kurze Zeit auch einmal draußen bleiben konnten.
Sie sicherte die Alarmanlage und platzierte den hüfthohen Gartenzwerg wie jeden Tag als Türstopper und Willkommensgruß am Türende. Den hatte sie von ihrem Vorbesitzer übernommen. In seiner offenen Hand hielt er für die hereintretenden Kunden ihre Visitenkarten bereit. Denn neben ihrem kleinen schöne-Dinge-Laden bot sie auch Massagen und Wanderungen bei Mondschein an. Vor allem die Wanderungen waren vor der C-Zeit oft schon lange im Voraus ausgebucht gewesen. Mit dieser Idee hatte sie eine Nische getroffen. Wanderungen bei Tageslicht gab es hier im Kurort viele. Doch sie hatte die Erfahrung gemacht, dass sich bei Nacht nicht viele Menschen in den Park oder umliegenden Lichtungen trauten. Dabei gab es gerade während dieser Zeit dort so viel zu entdecken. Kurzum beschloss sie, diese Wanderungen in ihr Programm aufzunehmen.
Sie ging durch die Hintertür in den Hausflur und öffnete den Briefkasten. Ein Abholschein der Post fiel ihr entgegen. Das müssten die Flyer für das Sommerfest sein, dachte sie. Nachdem im letzten Jahr das Fest C-bedingt ausgefallen war, sollte es dieses Jahr im August auf jeden Fall wieder stattfinden. Die Vorbereitungen liefen. Es wurde überall im Ort geprobt und auf dem Marktplatz nahm die Bühne immer mehr Form an. Das Sommerfest in ihrer Stadt war berühmt in dieser Gegend. Ein Treffpunkt für alle umliegenden Dörfer und Städtchen. Nach dem langen Abstandhalten freute sich dieses Jahr jeder darauf. Auch Svenja, denn sie hatte sich wieder für den Stand an ihrem Lieblingsplatz angemeldet. Der lag gleich neben dem ihrer Freundin, die auch dieses Jahr dort wieder ihren besonderen Liebestrank anbieten wollte. Sie braute diesen nach einem alten Rezept, was sie von einer weisen Alten auf einer ihrer Reisen in fernöstliche Regionen mitgebracht hatte. Selbst Svenja als ihre gute Freundin hat sie bis heute nicht die Inhaltsstoffe des Trunkes verraten. Doch jedes Jahr standen die Besucher Schlange an ihrem Stand, was sich auch auf den Umsatz von Svenjas Stand positiv ausgewirkte. Sie hoffte nicht nur auf einen guten Umsatz. Auch auf das Lachen mit ihrer Freundin, denn sie hatten sich in letzter Zeit nicht mehr so oft gesehen, wie früher.
Sie schloss die Hintertür und machte sich an die Arbeit. Als erstes wollte sie heute das Regal neben den Tüchern aus Afrika auf Vordermann bringen. Beim Anblick der silberpulvrigen Staubschicht auf den kleinen Buddhas und Figuren aus Speckstein zog sie die Augenbrauen hoch. Das wird dauern, dachte sie.
Wenn du fertig bist, wird es wieder ganz schön aussehen. Da war sie wieder: ihre Optimismusstimme aus dem Off.
Okay, Ärmel hoch und ran an die Arbeit. Ich hatte die letzten Wochen ja genug Zeit zum mich ausruhen.
Ein herzliches DANKE an Susanne aus der The-Content-Society für die inspirierende „Wörterspende“.
Diese kleine Kurzgeschichte hat dich inspiriert oder berührt?
Manchmal klingen sie auch noch in dir nach oder regen dich selbst zum kreativen Schreiben oder Gestalten an?
Du möchtest mir deine Form der Wertschätzung in Form einer Tasse Tee oder Kaffee zukommen lassen?
Gerne kannst du mir diese symbolische Tasse Kaffee oder Tee über Paypal zukommen lassen.
Das Wetter ließ zu wünschen übrig. Es regnete nun schon die zweite Woche hintereinander. Ihren Urlaub hatte sich Linda anders vorgestellt: Sommer, Sonne, Baden. Stattdessen gab es Kälte, Regen, Kaminfeuer. Zum Glück hatte das kleine Haus, was sie an der schottischen Küste gemietet hatten, eine wundervolle Bibliothek zu bieten.
So machte Linda seit ein paar Tagen aus dieser Not eine Tugend. Sie warf sich jeden Morgen nach dem Aufwachen nur ihren Morgenmantel über den Pyjama, wanderte barfuß über den Gang bis zum Reich der Bücher und lies sich dort in den großen Ohrensessel fallen. Eine gesteppte Patchworkdecke aus Lammfellwolle und das Buch vom Abend warteten dort schon auf sie. Meist glimmte im Kamin auch noch ein Rest vom Vorabend und sie musste auf dem Weg zum Sessel nur ein paar Holzscheite nachlegen, damit es wieder zu knistern begann.
Mark war zu der Zeit meist schon mit Charlie die erste Runde laufen. Er liebte es vor Sonnenaufgang aufzustehen. Für ihn war es egal, ob er zu Hause oder im Urlaub war. Seine innere Uhr tickte nach seinem Rhythmus. Und diesem wollte er folgen. Außerdem hatte sich Charlie von klein auf angewöhnt, ihn mit seiner Hundeschnauze zu wecken. Die beiden war ein Herz und eine Seele. Wenn sich Charlie zwischen beiden entscheiden müsste, wäre Linda nur die zweite Wahl. Doch sie liebte Charlie genauso wie Mark, war er doch ihr Ersatz für den zerplatzten Kinderwunsch.
Auf einmal hörte sie, wie unten im Flur die Türen klapperten. Kurz darauf stand Charlie mit triefnassem Fell vor ihr und schüttelte sich.
„Oh nein Charlie, nicht hier. Geh runter. Hier nicht!“ rief sie und stupste ihn Richtung Tür.
„Mark, ruf ihn bitte zu dir“ rief sie nach unten.
„Möchtest du heute deinen Smoothie mit Spinat oder mit Sellerie?“ kam es von unten aus der Küche zurück.
„Bitte Mark, ruf Charlie zu dir“. Sie wandte sich nochmals zu Charlie, doch der hatte sich schon auf seinen Platz vor dem Kamin lang ausgestreckt hingelegt und schaute zufrieden zu ihr.
In Linda braute sich eine kleine Wutwolke zusammen. Jeden Tag war es dasselbe. Mark kam nach seiner Runde mit Charlie gutgelaunt zurück und dachte nur noch ans Essen. Seit sie sich auf vegane Ernährung umgestellt hatten, hielt er sich strickt an alle Ernährungsempfehlungen. Dabei vergaß er gerne mal alle Regeln der Hundeschule. Das war seitdem Lindas Aufgabe. Grummelnd stand sie auf, schloss ihren Morgenmantel und lief ins Bad, um ein Handtuch für Charlie zu holen. Auf dem Rückweg kam Mark gerade mit dem Frühstückstablett die Treppe nach oben. Sie sah zwei Gläser und daneben zwei leckere gefüllte Pfannkuchen. Der Duft der Pfannkuchen schob sich in ihre Nase.
„Schatz, du darfst wählen: Spinat oder Sellerie?“ Sein spitzbübisches Lächeln entwaffnete sie. Sofort war sie wieder seinem Charme erlegen. Sie wusste, was sie beide alles schon miteinander durchgemacht hatten. Was regte sie sich da über diese Kleinigkeit auf. Sie wusste, Mark liebte sie und trug sie auf Händen.
„Lass mich erst noch kurz Charlie versorgen und dann essen wir zusammen. Danke für das Frühstück machen. Das sieht wieder so was von lecker und gesund aus.“
Sie schob sich an ihm vorbei und ging zurück in die Bibliothek, wo Charlie immer noch träumend vor dem Kamin lag. Sie rubbelte sein Fell und murmelte: „Ach du bist schon unser bester liebster Charlie.“ Charlie antwortete ihr mit einem kurzen Brummen, gab ihr einen Hundekuss auf den Hals und ließ die Prozedur über sich ergehen.
Ein herzliches DANKE an Dina aus der The-Content-Society für die inspirierende „Wörterspende“.
Diese kleine Kurzgeschichte hat dich inspiriert oder berührt?
Manchmal klingen sie auch noch in dir nach oder regen dich selbst zum kreativen Schreiben oder Gestalten an?
Du möchtest mir deine Form der Wertschätzung in Form einer Tasse Tee oder Kaffee zukommen lassen?
Gerne kannst du mir diese symbolische Tasse Kaffee oder Tee über Paypal zukommen lassen.
Luise saß gedankenversunken auf ihrer Lieblingsbank. Der weite Blick über das tiefe Tal bis hinüber zu den schneebedeckten Berge, das gab ihr immer viel Kraft.
Lange war sie nicht mehr bis hierhin gelaufen. Die Alm lag in diesem Jahr bis weit in den Mai im frostigen Schneegewand, jetzt hatte die Sonne endlich auch die letzten weißen Fetzen auftauen lassen. Ihre Füße wollten zwar den Weg nicht mehr so flink wie früher in die höchsten Weiten wandern, doch mit jedem Schritt nach oben, wurde sie mutiger. Nach der Hüft-OP im letzten Herbst meinten die Ärzte sie sollte ab jetzt vorsichtiger sein. Doch darauf gab Luise wenig.
„Die Luise hatte schon immer ihren eigenen Kopf“ würde jetzt ihr Hermann brummeln.
So packte sie heute Morgen kurz entschlossen ihren Wanderrucksack mit dem Nötigsten, legte ihrem Hermann einen schnell auf einen Zettel gekritzelten Gruß auf den Küchentisch und wanderte los. Sie wollte sich ihre Lebensfreude nicht durch die begrenzten Aussagen wichtigtuender Ärzte austreiben lassen. Sie kannte ihren Körper, hat ihn im Laufe der Jahre lieben gelernt. Und sie wusste, eines liebte ihre Körper am meisten: Bewegung. Am besten draußen in den Bergen.
Ihr Ziel stand fest. Sie kannte die Wege hier wie ihre Westentasche. An jeder Kreuzung blieb sie stehen, hielt inne und entschloss erst in dem Moment, welchen Weg sie als nächstes nehmen würde, um bis zu ihrer Bank zu gelangen. Sie ließ sich treiben, hörte das Kuhgebimmel aus der Ferne, das weiche Schellen der Dorfkirchenglocken zu jeder Stunde, die Schmetterlinge kreuzten ihre Wege und tanzten über den Blumen. Der Wind blies leicht, die Bienen summten ein Lied. Mit einem Mal fiel ihr auf, wie sehr sie diese stille Vertrautheit mit der Natur vermisst hatte.
Dann war er da, der Moment, auf den sie sich den ganzen langen Weg über gefreut hatte. Ihre Bank, sie stand immer noch an derselben Stelle wie beim letzten Mal. Sie war ihre geheime Vertraute. Wie oft saß sie schon auf ihr und hat dort ihre Freude und ihr Leid geteilt, auch unzählige Gebete in den Himmel gestoßen.
Dieser Ort mit der Bank war ihr sicherster Ort. Hier fühlte sie sich verbunden mit allem. Als sie vor 40 Jahren ihren Hermann kennengelernt hatte, trafen sie sich am Anfang heimlich dort. Hier hat er ihr auch seinen Heiratsantrag gemacht. Hermann war damals nur ein einfacher Almhirte, doch er hatte immer etwas Lustiges in seinen Hosentaschen versteckt.
Als er ihr den Heiratsantrag machte, fragte er sie frech: „Willst du die rechte oder die linke Hand“. Er stand dabei, beide Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben, siegessicher strahlend vor ihr.
Sie sagte „links“ und er grinste, zog die linke Hand heraus und hielt ihr einen Ring entgegen. Sie konnte es damals im ersten Moment gar nicht fassen.
Doch ohne zögern sagte sie: JA, ich will und sie fielen sich in die Arme. An das Gefühl der blubbernden Glücksperlen in ihr kann sie sich bis heute erinnern.
Später fragte Luise ihn, was er denn in der rechten Hand gehabt hätte. Da grinste er wieder.
„Dann hätte mein Heiratsantrag noch warten müssen und ich hätte dir nur einen deiner Lieblings-Sahnebonbons geschenkt.“
So war er eben, ihr Hermann, und dafür liebte sie ihn.
Luise öffnete ihren Rucksack, zog die Thermoskanne und ihre eingewickelten Brote heraus. Sie goss sich einen großen Schluck heiß dampfenden Tee in ihre Wandertasse. Ihren Becher mit beiden Händen haltend, pustete sie nun ganz sachte über die Teeoberfläche, so dass ihre Brille immer wieder leicht beschlag. Ihr Blick war wieder in die Weite gerichtet. Das war ihre liebste Atemmeditation auf dem Berg. Das beruhigte sie. Wenn sie dann Schluck für Schluck trank, genoss sie es, wie der Tee sie durch die Kehle bis in den Bauch wärmte. Zwischendrin biss sie ab und zu von ihrem Brot ab.
Nachdem sie mit mit dem Essen fertig war, faltete sie das Einwickelpapier zu einem Aluhut. Das war eine alte Gewohnheit von ihr, damit sie bei einem Schauer etwas für den Kopf hatte. Manchmal hatte sie auch Hüte mit Wikingerohren oder Spiralen gebastelt. Wenn sie damit dann nach Hause kam, lachte sich ihr Hermann laut kaputt. So hat eben jeder seinen kleinen Spline.
Ein herzliches DANKE an Luise aus der The-Content-Society für die inspirierende „Wörterspende“.
Neueste Kommentare